Dienstag, 24. Juli 2012

Traumgeboren

Liebe Leser,

heute habe ich eine aktuelle Rezension von mir:


Eire Rautenberg: ‚Traumgeboren‘, Araki-Verlag 2011, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, 120 Seiten, 14,80 €, ISBN: 978-3-941848-01-6

Eire Rautenberg, eigentlich Inge Rautenberg, nennt sich aufgrund ihrer Liebe zur ‚Grünen Insel‘ Eire. Bekannt ist sie weniger durch die Publikation ihres autobiografischen Romans ‚Dona da Casa – Herrin des Hauses – Eine Liebe in Portugal‘ die schon 1994 erfolgte, sondern eher durch zahlreiche Publikationen in Anthologien und spirituellen Zeitschriften wie AHA, Shekinah, Tattva Viveka, etc., die alle durchweg lesenswert sind.
Hier liegt nun die zweite, überarbeitete und erweiterte, Auflage ihres 2002 erschienenen Gedichtbandes ‚Traumgeboren‘ vor. Wie stets präsentiert der Araki-Verlag von Georg Dehn eine besondere Publikation. In Anlehnung an Friedrich Nieztsche könnte man sagen: ‚Ein Gedichtband für alle und keinen‘. Die Gedichte des Bandes sind in neun Themenbereiche gegliedert. Der erste Themenkomplex (‚Verborgen‘) geht um den Dichter und das Dichten bzw. Kunst an sich. Der Künstler (bzw. Eire als Dichterin) will sich nicht nur mitteilen. Ein Kunstwerk (Gedicht) ist wie eine Geburt, das Hervorbringen von etwas Einzigartigem; es soll in dieser Welt lebendig Wirken, soll ein Dienst an der Menschheit sein und erhofft keinen Lohn wohl aber Kritik bzw. Resonanz.
Nicht nur der zweite Themenkomplex ‚Ich bin‘ hat autobiographische Züge. Er zeigt das Rad der Zeit von Geburt bis Alter. Eine ‚Reise‘ vom ‚Wachsenland‘ , welches als Kind betreten wurde bis hin zur ‚Altertumsforschung‘. Schon hier wird deutlich, daß die Dichterin auch Kritikerin ist und gesellschaftliche Probleme anspricht. Es geht darum auch würdevoll alt zu werden, das Kind in sich zu wahren, frei zu bleiben. Durchweg verwendet Eire Metaphern (z.B. Wachsenland für Kindheit), die nicht immer leicht zu verstehen sind, oft erst im Kontext oder der Reflexion klarer werden. Ebenso erschafft sie, im kreativen Prozess des Werdens ihres Gedichtbandes, stets neue Worte und Wortkombinationen (Garten der Kindheit für Erleben als Kind), die ihre Botschaften auf den Punkt bringen.
Weitere Themen sind Spiritualität (thematisiert unter ‚Maat‘ und ‚Heidenarbeit‘), Beziehungen (Kapitel ‚Zwischen uns‘ und ‚Mein Herz stolpert dir nach‘), sowie Freiheit – nicht nur als Rede- und Denkfreiheit – wie in den Kapitel ‚Rede mit Engelszungen‘ oder  ‚Kein Blatt vor dem Mund‘.
In ihrer Verehrung der alten Götter tritt ihre naturreligiöser Lebens- und Sichtweise hervor, die in ‚Mondgöttin‘ einen Höhepunkt erreicht und einer Anrufung der Mondgöttin gleicht. Eire nennt es auch ein ‚liturgisches Gedicht für acht Stimmen im Kreis…‘ im Untertitel. Das weiblich Spirituelle, die Intuition, die Naturverbundenheit wird in der neuen Auflage auch in Beziehung zu ihren späteren Erfahrungen in Kulten bzw. Orden gesetzt, ihre Rationalität, Gruppenbindung und Elitedenken. Klar betont Eire immer wieder Werte wie Freiheit, Liebe, Natur, Menschsein in natürlicher Art und Weise. Ebenso hat sie den nötigen Humor und Zynismus negative Eigenschaften (wie z.B. Egoismus, Narzissmus) in der ihnen gebührenden Weise darzustellen.

Mühe hatte der Rezensent mit der Form. Diese wird schon in der Reflexion über Kunst, in ihrem Gedicht ‚Kunst‘, welches auch auf dem Rückumschlag abgedruckt ist, aufgehoben.

Kunst

Der Durst
nach Stoff
nach Form
nach Werk

dies erkennen
sich entbinden
wenn vollendet
auslöschen

Meist handelt es sich um zwei bis fünfzeilige Verse, die selten einem Reimschema unterworfen sind, wenn dann ggf. a:b, a:b. Der Begriff ‚unterworfen‘ wurde bewußt gewählt, da das häufig hohe abstrakte oder metaphorische Niveau sich kaum in Jamben oder Trochäen ausdrücken ließe. Schon die Einteilung in Zeilen und Verse stellt oft ein Problem dar, da Zeilen oder Verse nicht immer als ‚Sinneinheiten‘ auftreten und durch das bewußte Weglassen der Interpunktion manchmal etwas schwer zu lesen bzw. verstehen sind. Sinn- oder Spracheinheiten (Satz) gehen oft über einen Vers hinaus, wobei im selben Vers auch schon die nächste Sinn- oder Satzeinheit beginnt. Vielleicht hätte ein Übergang in das Lyrische dem Werk besser gestanden. Natürlich ist sich der Rezensent um die Problematik des Lyrik-Begriffes und der Lyrik-Diskussion bewußt, dennoch soll hiermit nicht allein die Zugehörigkeit zur poetischen Gattung gemeint sein, sondern gilt „demnach als stimmungshafte Verschmelzung von Subjekt und Objekt als Ergebnis der Verinnerlichung der gegenständlichen Wirklichkeit“. (siehe Metzler Literatur Lexikon: Stichwort Lyrisch) Es ist stets Eires Wirklichkeit, die sie uns mitteilt, ihr Leben, Denken, Fühlen, sowie Weisheiten und Erfahrungen, an denen sie uns teilhaben läßt. Auch wenn sie als Jahrgang 1956 nicht mehr ‚so‘ jung ist, so ist sie doch im Herzen jung und spricht zu uns von Herz zu Herz, welches die Aufhebung aller Formen möglich machen könnte (also auch der Versform). Wer sich durch die Themen und Verse angesprochen fühlt wird eine Bereicherung erfahren, wenn er sich Zeit und Ruhe zum Genießen, Reflektieren und Verstehen nimmt, vielleicht auch zum Forschen (Mythologien, Religionen), Leben (Lieben) oder Nachahmen (Kampf um Freiheiten, ‚Revolution‘).